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Ein Stück Weg...

... ist in der Zwischenzeit gegangen.
2 Jahre liegt die letzte Zusammenfassung zurück. Sehr lang die Zeit dazwischen. Was hat diese Zeit geprägt? Ich möchte versuchen unseren jetzigen Stand zu beschreiben.

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Die Zeiten der Zweifel sind deutlich weniger geworden. Das Wir ist meist Selbstverständlich geworden. Klar gibt es Momente, wo man doch alles in Frage stellt, aber diese Momente sind meist kurz und haben deutlich weniger Kraft. Das ist gut.
Viele male habe ich inzwischen die Anderen wahrgenommen. Immernoch sehr unsortiert. Immernoch so das Absprachen nicht bewusst gemacht werden können. Oft kriege ich mit wenn andere "Nah" sind, manchmal weiß ich es erst wenn ich im Nachhinein erfahre das ich Situationen nicht erinnere.
Der Alltag hat sich verändert. Ist nicht leichter geworden und irgendwie trotzdem doch klarer. Chaotischer ist er und auch verstehbarer. Wir lernen dazu im Miteinander. Aber es gibt noch viel zu lernen.
Immer wieder fühle ich mich den anderen hilflos ausgeliefert. Sie handeln und reden durch mich hindurch (teils auch durch andere hindurch?) doch in schwierigen Situationen fühle ich mich alleine gelassen, da tauchen sie plötzlich nicht auf. Oder ich krieg nur verwirrende Gefühle mit und weiß aber nicht was los ist. Zum Beispiel möchte ich in einer Situation was bestimmtes sagen, aber kriege mit wie was anderes gesagt wird, weil z.B. jemand immer "Lieb" sein muss und Angst hat das "Falsche" zu tun. Oder es wird ein Scherz gemacht und jemand kleineres versteht das nicht und ist erschrocken. Für mich ist es dann aber ein Scherz und dennoch kann ich gegen die Reaktion von Innen nichts tun dann. Manchmal entstehen witzige Situationen. Manchmal ist es aber auch sehr verwirrend. Dennoch - ich weiß ja das diese Reaktionen von Inneren kommen, wenn auch noch nicht genau warum und von wem. Das werden die nächsten Herausforderungen sein für mich und für die Inneren.

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Ich und die anderen die seit Jahren den Alltag meistern haben schon Angst die Kontrolle zu verlieren. In manchen Bereichen haben wir sie aber schon verloren, sonst wären wir nicht dermaßen eingeschränkt im Leben. Das macht uns auch oft Verzweifelt und wir fühlen uns dann dolle Lebensunfähig. Das sind manchmal ganz kleine Auslöser, die aber entscheidend zur Lebensqualität beitragen.
Das ist z.B. wenn man eine Freundin besuchen möchte oder Appetit auf etwas hat was nicht zu Hause ist und wir es einfach nicht hinkriegen das Haus zu verlassen. Seit einem Jahr (!) geht das gar nicht mehr alleine. Nicht mal zur Therapie schaffen wir es mehr alleine. Und ich finde keinen wirksamen Ansatz das zu verändern. ok, noch nicht.
Phasenweise ist mehrmals täglich ein Schwindel da, kombiniert mit einem Gefühl im Solarplexusbereich was ich nur wie einen Sog beschreiben kann. Das ist sehr unangenehm. Wahrscheinlich ist das der Versuch von jemanden Innen ganz nach Außen zu kommen. Es entsteht (wahrscheinlich) sowas wie ein Kampf - ich bin nicht mehr ganz da, aber auch nicht ganz weg. Ich glaube das ich da lernen muss es zuzulassen das auch andere ganz draußen sein dürfen. Im Denken ist das auch klar, aber ich kriege diese Angst davor noch nicht weg. Diese Angst hat aber auch eine Berechtigung, denn es könnte ja auch passieren das destruktive Anteile sich ausleben, was eher nicht gut und sogar gefährlich werden kann. Somit wäre es auch hier wieder am Besten es wäre ein Absprachefähigkeit da. Der Tipp unserer Therapeutin ist hier laut nach Innen zu fragen was los ist, wer etwas möchte, so das alle es hören können. Das muss ich noch üben. Die Inneren haben wahrscheinlich auch ein Stückweit Angst in der heutigen Zeit herauszukommen, zumal es wohl nicht allen Klar ist das wir 2008 haben und nicht mehr in Gefahr sind.
Das ist auch etwas was wir noch lernen müssen, denen die Angst haben klar zu machen das uns heute nichts mehr passieren kann. Unsere Therapeutin sagt das oft, das 2008 ist und uns heute nichts mehr passieren kann. Aber unsere Therapeutin ist ja nicht immer da. Ich vergesse oft sowas zu sagen, nach Innen zu beruhigen, weil ich viel zu sehr damit Beschäftigt bin "schwierige Gefühle wieder in den Griff zu kriegen" - so wie ich es seit je her mache. Ich werde dann Verzweifelt, weil ich die Gefühle nicht mehr immer weg kriege und bin dann leicht von ihnen überschwemmt.

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Das sind unter anderem die Bereiche wo wir noch ganz viel Hilfe brauchen. Hier ist aber die Einzige professionelle Hilfe unsere Therapeutin. Nur ist eine Stunde in der Woche sehr wenig. Eigentlich haben wir dafür die Wiedereingliederungshilfe. Leider gibt es noch sehr wenige Betreuerinnen die sich mit DIS oder DDNOS auskennen und wir haben nicht das Glück so jemanden zu haben. So sind wir damit im Alltag alleine. Naja nicht ganz, denn wir haben liebe Freundinnen, die oft eine Hilfe sind. Und eine Betreuerin scheint sich auf das "Viele sein" einlassen zu können und ist da offen dazu zu Lernen. Aber auch das braucht noch Zeit. Wir haben dazu im Kapitel asrechts.gifThemen / Hilfen / Wiedereingliederungshilfeaslinks.gif mehr geschrieben.
Es ist ein Problem, wenn die Inneren sich nicht erwünscht und gesehen fühlen. So kann Hilfe dann mehr stress machen als eh schon da war. Dazu kommt das man dann Funktional wird, was dann beim Gegenüber aber nicht als "Stressreaktion" ankommt sondern als "Siehste klappt doch!". Die eigentlich Helfen wollende geht dann zufrieden nach Hause, weil ja was getan wurde - vielleicht hat sie sogar dennoch ein unbestimmtes Gefühl von "es stimmt was nicht" - was aber vielleicht dann eher in "wir müssen zukünftig mehr tun" endet. Wünschenswert wäre wenn eine Stressreaktion als solche erkannt werden würde (man kann diese ja nicht immer vermeiden) um dann langfristig zu schauen wie man den Stress rausnehmen kann. Klar, man könnte jetzt sagen "Erzählt ihr doch einfach was Sache ist" - das ist aber nicht so einfach.

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Wo dann die Alltäglichen Probleme mit der dissoziativen Störung anfangen.
Man hat ja schon oft versucht zu erklären und es ist eine gewisse Resignation da - zum Glück nicht immer. Dann ist ja der Sinn der Funktionalität die Äußere und Innere Streßsituation zu meistern, dies passiert einfach und ist oft erst im Nachhinein zu reflektieren. Dann gibt es die Verschiedenen Inneren. Eine denkt sie will ja nicht nerven und sich nicht "anstellen". Eine andere hat immer angst das man sie nicht mehr mögen könnte. jemand anderes sagt man kann niemanden Vertrauen. Jemand anderes fährt mit anderen Themen auf um nicht dahin zu kommen über das wichtige Thema zu sprechen. Wieder jemand anderes sieht ein das etwas gesagt werden muss, verpackt es aber so, dass das Gegenüber gar nicht verstehen kann worum es geht, oder es wird ganz schnell wieder abgeschwächt was gesagt wurde. Dann ist die Zeit auch noch begrenzt und es müssen noch Dinge erledigt werden, so dass manchmal auch Wochen vergehen können bis man was sagen kann und dann denkt man wieder, das es ja schon zu lang her ist....
Also "Es einfach sagen" ist nicht wirklich einfach, wenn auch wünschenswert. Unter anderem hier wäre es jetzt extrem Hilfreich, hätte man eine Fortgebildete Frau vor sich sitzen die sich mit diesen Mechanismen auskennt und uns hilft durch Achtsamkeit und Nachfragen. Manchmal wäre auch ein geduldiges Nachhaken gut. Ich glaube schon das wenn man sich mit Dissoziativen Störungen auseinandersetzt. Und sich wirklich einlassen kann, das man da eine Empathie für Situationen entwickeln kann. Das heißt dann auch "sich (be-)Greifbar machen. Wo aber manche wieder Angst haben das ihre Grenzen überschritten werden könnten und darum lieber auf der vertrauten Handlungsebene bleiben. Wo man sich dann im Kreis dreht und es nicht weitergehen kann.

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Wir haben ja vor in eine betreute WG zu ziehen. Dafür haben wir lange gekämpft, besonders wichtig ist uns hier das man wirklich in eine Umgebung kommt wo Helferinnen sind die sich mit DIS auskennen. Wir fanden eine Einrichtung in der Stadt wo auch unsere Therapeutin ist. Es gab nach langer Wartezeit insgesamt 2 WG - Besichtigungen. Aber die Räumlichkeiten waren katastrophal und auch die Mitbewohnerinnen "passten" nicht zu uns. So das es klar war die WGs kommen nicht in Frage. Da wir aber sooo sehr darauf gewartet hatten, hat uns das sehr stark in eine Krise geworfen. Es war eine Zukunftsperspektive. Viele von uns haben diese dann erst mal ganz verloren und die Suizidalität war sehr stark da. Um das zu Überleben blieb nur Hohe Funktionalität. Diese über Tage oder gar Wochen aufrecht zu erhalten war extrem schwierig und hatte bei uns die Folge das wir nach 10 Jahren mit einem sehr heftigen Neurodermitisschub konfrontiert waren. Es war so schlimm das wir bei einem Besuch bei der Hautärztin sofort weiter geschickt wurden in die Hautklinik. Vollstationär ging für uns nicht so ließen wir uns auf eine Teilstationäre Behandlung ein. Hautklinik heißt viel Körperkontakt, Reduzierung auf den Körper. Niemanden da interessiert ein "warum ist der Schub da" oder überhaupt irgendwas psychisches. Auch das konten wir nur mit extremer Funktionalität durchstehen. Was wieder zur Folge hatte das die Haut heilte und an anderen Stellen wieder anfing kaputt zu gehen. Dazu kam das wir die Funktionalität nicht mehr vollständig aufrechterhalten konnten. Ängste und Trigger wurden spürbarer. Da das Sozialamt aber für diese Zeit die Wiedereingliederungshilfe gekürzt hat, hatten wir in dieser besonderen Stresssituation noch weniger Begleitung als eh schon. Ehrlich gesagt weiß ich kaum noch wie wir diese Zeit trotzdem überstanden haben.
Nach 2 Wochen haben wir die Behandlung abbrechen müssen. Es ging einfach nicht mehr. Unsere Therapeutin meinte das Innere in einem sogenannten Dauerflashback waren. Es brauchte noch einige Zeit bis man wieder genug Abstand zur Klinik und der Haut hatten. Wir müssen noch weiter Behandeln, was einmal schwer ist weil wir schlicht kein Geld für Pflegesalben haben und diese von der Krankenkasse nicht übernommen werden. Das andere ist das es für uns sehr schwer ist den Körper wahr zu nehmen und das Regelmäßige auftragen der Salben eher nicht gelingt. Aber wir versuchen was geht und es sieht so aus als wenn die Haut uns das zur Zeit nicht übel nimmt.

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Paralel ist es jemanden von uns gelungen das man wegen dem betreuten Wohnen noch eine alternative gefunden hat. Hier ist Mitte November ein Vorgespräch. Die sollen sich sehr gut mit Dis auskennen. Leider ist diese Einrichtung aber sehr viel weiter weg und für uns würde das Bedeuten das man nicht nur das Soziale Umfeld verlässt, sondern auch die ambulante Therapeutin. Ich weiß nicht wie das gehen kann. Aber ich weiß auch keine andere Alternative. Aber auch hier gibt ein "Brückendenken". Wir haben von der Krankenkasse die letzte Verlängerung bewilligt bekommen für die ambulante Therapie, das heißt das uns eh eine ca. 2 Jährige Zwangspause bevorsteht. Diese können wir in der jetzigen Situation nicht überstehen. Somit muss eine Alternative her. Eigentlich glauben wir nicht mehr wirklich daran eine wirkliche Hilfe im Alltag zu finden. Trotzdem scheint es so das man die Hoffnung nicht aufgeben kann. Unsere Therapeutin macht uns immer mal wieder klar das unsere Bedürfnisse und Wünsche nicht überzogen sind und das es eigentlich notwendig ist. Doch die Gesellschaft (die Helfenden, das System) ist noch nicht so weit Fortgebildet und Erfahren um mit dem Bild einer dissoziativen (identitäts) Störung adäquat zu arbeiten. Das wird in einigen Jahren anders sein - leider hilft es uns grad gar nicht. Ich bin davon überzeugt das wir mit professioneller Hilfe schon sehr viel weiter wären. Es macht uns oft sehr Verzweifelt, das wir in diesen Anhängigkeiten gefangen sind.
Zur Zeit überlegen wir einen weiteren Intervall in der Traumaklinik zu machen. Dieses Jahr waren wir noch nicht weil wir ja dachten das ein Umzug ansteht und wir wollten erst ein sicheres Umfeld haben, bevor wir wieder in die Klinik gehen. Jetzt ist es aber so, das es ja wieder lange dauern kann, bis man ein Zimmer bekommt und auch wieder eine Kostenzusage. Und wir sind ganz schön ausgepowert vom Alltag. In der Klinik kann man vielleicht mit Abstand zum Alltag noch mal ganz andere weitere Schritte tun. Aber Klinik bringt auch wieder ganz andere Stressfaktoren mit sich, die Bedacht werden müssen. Dennoch ist die Tendenz gerade so, dass das dran ist.

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Etwas was mich/uns gerade immer mal wieder Beschäftigt, ist unsere Sprache.
Ausgangspunkt für dieses Thema war eine sms, die wir an unsere Betreuerin schickten. Zum ersten mal hatten wir das Wort "notfall" benutzt. Die Betreuerin reagierte darauf mit einem Anruf, wo sie uns sagte das sie in 2-3 Tagen einen Termin machen kann. Wir waren entsetzt, Verzweifelt und wussten halt wieder das es nichts bringt um Hilfe zu bitten - nicht wenn sie wirklich nötig ist. Es löste sehr viel aus, bestimmt auch vermischt mit Alten Erfahrungen. Wir schafften es auch nicht das mit der Betreuerin anzusprechen. Letzte Woche hatte wir dann mit unsere Therapeutin das Thema, das ich Angst habe oft das Innere manchmal sehr heftig (in meinen denken Agressiv) irgendwas sagen wollen und ich versuche das zurück zu halten. Unsere Therapeutin meinte das so wie sie uns kennt, wir eh seeehr vorsichtig reden. Und das sie denkt wenn ich Innere reden lasse, oder es für Innere auspreche, das sie ziemlich sicher ist, das es für mich zwar "heftig" rüber kommt, es aber mit großer Wahrscheinlichkeit für die Welt draußen noch völlig im Rahmen des normalen sein wird. Mein Gefühl ist übrigens das ich mich nicht immer vorsichtig ausdrücke sondern doch ziemlich klar rede. Naja, im Rahmen dieses Gespräches zeigte ich dann Frau St. die sms. Und sie sagte das wenn sie die sms von uns bekommen hätte, das sie dann sofort reagiert hätte. Das aber wenn es von jemanden anderen gekommen wäre sie gedacht hätte, das man der Person mal nächste Woche einen Termin geben wird. Zwar haben wir das Wort Notfall benutzt, aber rundherum waren 4 abschwächungen (vielleicht, eigentlich, wollen ja nicht stören...) wenn jemand im Stress ist und uns nicht kennt, dann wirken die Abschwächungen stärker als das Wort Notfall. Für mich bedeutet das Wort das was eben auch bedeutet. Darum benutzen wir dieses Wort auch nicht - eben nur wenn ein Notfall ist. Andere scheinen das Wort anders zu benutzen oder auch zu mißbrauchen. Das war ganz wichtig für uns zu hören, weil wir die Situation so ganz anders einordnen konnten.
Gestern haben wir dann darüber mit der Betreuerin gesprochen und es war so wie unsere Therapeutin es sagte, wir konnten es klären. Und auch wenn wir es nicht klarer hinkriegen das nächste mal, so ist es jetzt so das unsere Betreuerin das anders Bewerten kann und dann auch helfen kann.
Wir sind soo Dankbar das unsere Therapeutin uns so professionell begleitet!
Ich glaube das war es vorerst erst mal. Wir sind selber gespannt wie alles weiter geht.

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